Erinnerungen an Dorf Zinna

von Hans-Joachim Fasterding (ehemaliger Einwohner von Dorf Zinna) (Photos zum Bericht)
Erstveröffentlichung im Heimatjahrbuch für den Landkreis Teltow-Fläming, 2. Jahrgang, 1995

   
Die sonntäglichen Spaziergänge über den mit Heidekraut, Ginster, Birken und Kiefern bewachsenen Schießplatz gehren zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Ein Teil des Truppenübungsplatzes wurde in früheren Jahren als Birkheide bezeichnet. Dies weist auf die landschaftliche Ähnlichkeit mit der Lüneburger Heide hin.

Großmutter erzählte uns beim Bakken (Backofen heizen) von der alten Zeit. Der mit Zacken (handliche Bunde aus Kiefernzweigen) beheizte Bakken stand wegen des Funkenflug am äußersten Gartenende. In unserer kindlichen Phantasie sahen wir die Raubritter Quitzows das Dorf plündern, erlebten die Franzosenzeit und die großen Brände im Dorf und erfuhren vom Leben im preußischen Grenzdorf Zinna gegenüber dem sächsischen Jüterbog.

Das Volkslied Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt; er setzt seine Felder und Wiesen instand ... erinnert mich noch heute an die Feldmark des Dorfes, wenn die Bauern die Frühjahrsbestellung durchführten. Die Höfe hatten durch den Verkauf an den Fiskus wesentliche Wirtschaftsflächen verloren und waren durch die Vielfalt der Kulturen zu kleinen Schlägen gezwungen. Dadurch waren relativ viele bäuerliche Gespanne auf der Feldmark zu sehen, die die Bestellarbeiten durchführten.

Da nur schlecht befestigte Wege nach Dorf Zinna führten, verirrte sich selten ein Auto in das märkische Straßendorf, und die Gespanne beherrschten die Dorfstraße. Die Huftier hatten drei, die Kossäten (mit einer kleinen Wirtschaft) ein oder zwei Pferde. Bei der Getreidemahd zogen sie Ableger oder Mähbinder über die Felder und kurze Zeit später die voll beladenen Erntewagen über die holprige Dorfstraße. Traktoren oder selbstfahrende Erntemaschinen gab es noch nicht im Dorf. Wir Kinder spannten den treuen Hofhund vor den Handwagen und brachten den fleißigen Frauen und Männern auf dem Erntefeld Frühstück oder Vesper. Erntearbeit war damals überwiegend anstrengende Handarbeit, die bei sommerlichen Temperaturen durstig und hungrig machte. Frisch Geschlachtetes auf selbstgebackenem Brot und dazu ein Schluck aus der Braunbierflasche war für uns Knirpse ein fürstlich' Mahl.

Schon während der Erntezeit freuten sich die Kinder auf das Kinderfest, das an den beiden Hügeln hinter dem Hack oder am Spring von der ganzen Gemeinde festlich begangen wurde. Die Kinder maßen ihre Kräfte bei sportlichen Wettkämpfen oder lustigen Spielen, wie Würstchenklettern, Sternwerfen, Armbrustschießen oder Bändertanz. Schöne Preise und Anfeuerungsrufe der Erwachsenen spornten die kindlichen Wettkämpfer zu Höchstleistungen an. Am Abend bildete ein Zug durch das Dorf, bei dem die Kinder stolz ihre Stocklaternen hinter der Musikkapelle hertrugen, den Abschluss dieses schönen Festes.

Für die jungen Mädchen und Burschen war das Stollereiten der festliche Höhepunkt zwischen Getreide- und Hackfruchternte. Schon Tage vorher wurden Sattelzeug und Stiefel auf Hochglanz gebracht. Die Pferde wurden besonders sorgfältig geputzt, mit Blumen am Zaumzeug, die Reiter in strahlend weißen Hemden, angeführt vom Major und seinem Adjutanten, so zog die Festgemeinde zum Platz am Frankenfelder Weg. Fünfzehn bis zwanzig Teilnehmer ritten im scharfen Trab kreisförmig um den hölzernen Hahn, der mittels Gewinde an einem Pfahl befestigt war. Durch Anschlagen wurde versucht, den Hahn vom Pfahl herunterzuholen. Oft wollten die Pferde nicht so wie ihre Reiter, was stets zu neuen Zuschauerbegeisterungen Anlass gab. Die fünf Reiter, denen der Hahnenabschlag geglückt war, erhielten von den vorher gewählten Ehrenjungfrauen als Geschenk ein Oberhemd. In früheren Zeiten wurde anstelle dessen eine Stolle überreicht. So wurde aus dem eigentlichen Hahnreiten ein Stollereiten. Die dörfliche Blaskapelle intonierte alte preußische Reitermärsche, bei denen selbst die abgearbeiteten Bauernpferde stolz ihre Mähnen schüttelten. Vor dem Haus des Bürgermeisters dankte der Major für die erteilte Erlaubnis und lud alle Anwesenden zum allgemeinen Tanz ein. Vor der Schenke wurde ein Hammel mit viel Hallo ausgekegelt und für die Kinder drehte sich ein Karussell.

Es muss noch erwähnt werden, da der Begriff Stollereiten regional unterschiedlich verwendet wird. In Dorf Zinna wurde dieser Brauch jedenfalls in der hier beschriebenen Art vollzogen. Diese Reiterspiele entwickelten sich in früherer Zeit, als die Dorfburschen noch bei den Ziethenhusaren, Gardekürassieren oder Ulanen dienten, um bei solchen Gelegenheiten ihr reiterliches Können zu beweisen.

Die Herbstferien brachten für die älteren Schulkinder eine unliebsame Beschäftigung, denn es ging hinaus aufs Feld, um Kartoffeln aufzulesen. Auf jeder Seite des Kartoffelschlags mute ein Lesepaar etwa eine Strecke von 20 m die ausgerodeten Kartoffeln sauber auflesen. Zwei Pferde zogen die Schleuder den Schlag ständig rauf und runter, und der Gespannführer bestimmte das Tempo. Er hatte es nach unserer Meinung immer viel zu eilig.

Waren im Spätherbst die Feldarbeiten beendet, begann in der Scheune der Getreidedrusch. Einige Bauern spannten noch ein Pferd vor den Göpel, das ziehend in kreisrunder Bahn die Kraft erzeugte, die der Göpel auf die in der Scheune stehende Dreschmaschine übertrug. Der Siegeszug der Elektromotoren - elektrischen Strom gab es in den Dörfern erst Anfang der zwanziger Jahre - beendete bald die monotone Arbeit des Göpelns. Die Frauen bündelten das Stroh mit geknoteten Strohbändern, und die Männer trugen in eineinhalb Zentner schweren Säcken das Getreide quer über den Hof auf den Hausboden, wo es als Brot- oder Futtergetreide bis zum Verbrauch gelagert wurde.

Der Posaunenchor, der von Einwohnern des Dorfes gebildet wurde, fand unser besondere Interesse. Mit ihrer Musik umrahmten die Männer kirchliche, dörfliche und familiäre Feste. Im Dezember fand der Ball des Kriegervereins statt. Mit viel, viel Beifall dankten die Gäste für das Theaterspiel, da jährlich den Ball eröffnete. Bei den Mitwirkenden hatte der Auftritt auf den Brettern der dörflichen Bühnenwelt bereits Wochen vorher für Aufregung gesorgt, denn es war eine Auszeichnung und Ehre, dabei sein zu dürfen.

Auch der Gesangverein Eintracht, der bei vielen Sängerfesten Auszeichnungen erwerben konnte, hatte sein großes Fest im Winter. Die sangesfreudigen "Zinnschen", wie die Einwohner von den benachbarten Dörfern genannt wurden, gingen im Winterhalbjahr gern zu den Proben, und die Neueinstudierungen wurden beim jährlichen Ball den begeisterten Gästen dargeboten.

In der 500 Einwohner zählenden Gemeinde gab es für die sportinteressierte Jugend auch einen Turn- und einen Radfahrverein.

Der absolute Höhepunkt aller dörflichen Veranstaltungen war die Fastnacht, zu der viele Gäste in das sonst ruhige Dorf kamen und am festlichen Schmaus teilnahmen. Die Platzmeister waren an diesen Tagen die herrschenden Persönlichkeiten des Dorfes.

Das gesellige Leben war ein Ausdruck der dörflichen Harmonie, die plötzlich am 01. Juli 1936 abrupt beendet wurde. Im vaterländischen Interesse müsse das Dorf aufgelöst werden, um den Truppenübungsplatz für die neu aufzubauende Wehrmacht zu erweitern. Den meisten Dorfbewohnern bedeutete es nur wenig Trost, da die Bürger von Mehlsdorf, Felgentreu und teilweise Pechüle das gleiche Schicksal ereilte. 87 Haus- und Grundstücksbesitzer - ob Hüfner, Kossäte oder Büdner - muten sich schnell eine neue Heimstatt suchen, denn bis 1938 sollte das Dorf geräumt sein. Es war ein Wettlauf mit der Zeit, vor allem, wenn die Eltern für ihre Kinder einen entsprechenden Bauernhof erwerben wollten.

Bereits nach sieben Jahren war die vaterländische Notwendigkeit nicht mehr gegeben, und Dorf Zinna wurde die neue Heimat für Aussiedler aus dem Sudetenland, die dem alten Bauerndorf den Namen Neuheim gaben.

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